Im Hinblick auf die Popliteratur gibt es zwei Vorurteile. Das erste Vorurteil ist, dass die Popliteratur der 60er Jahre subversiv und politisch sei, wahrend die Popliteratur der 90er Jahre geselleschaftskonform und unpolitisch bzw. apolitisch sei. Parallel zu dieser Dichotomisierung lauft als zweiter Vorurteil eine andere Dichotomisierung, die zwischen den intellektuellen Suhrkamp-Popautoren wie Goetz und Meinecke und den unterhaltsamen und kommerziellen Popautoren der jungeren Generation wie Kracht und Stuckrad-Barre in den 90er Jahren unterscheidet. Und alle negativen Attribute wie kommerziell, sozialkonform und unkritisch, durch die sich die Popliteratur der 90er Jahre auszuzeichnen scheint, werden Benjamin von Stuckrad-Barre zugeschrieben.
In der vorliegenden Arbeit wird die obige Annahme auf ihre Gultigkeit hin uberpruft, wobei Stuckrad-Barre im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Erstens wird der Frage nachgegangen, ob Stuckrad-Barre blind dem kapitalistischen Marktgesetz erliegt und damit keine kritische Distanz zu diesem halt. Einerseits weiß er, dass er als Popautor von den renommierten Literaturkritikern nicht ernstgenommen wird und deswegen uber diesen Kanal nicht zum Durchbruch kommen kann. Andererseits will er weder von seinen Eltern noch von irgendwelchen finanziellen Subventionen abhangig sein. Daher tritt er in den Medien und in der Werbung auf, um davon leben zu konnen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er der spatkapitalistischen Gesellschaft gegenuber unkritisch und beugsam ist. Vielmehr zeigen sich seine Romane durch die unverschleierte Darstellung der sozialen Pathologie und der Heimatlosigkeit als durchaus kritisch.
Zweitens geht es um Stuckrad-Barres Umgang mit den Medien. Er ist in vielen Fernseh-Talkshows aufgetreten und hat selbst ein Talkshow moderiert. Dabei hat er oft durch die eigenartigen und abnormalen Handlungen fur Medienwirbel gesorgt und sich dem offentlichen Disput bzw. Tadel ausgesetzt. Obwohl er dieses Medienmissbrauchs fur seinen kommerziellen Nutzen bezichtigt worden ist, kann seine seltsame
Medienprasenz eher als eine Selbstinszenierung interpretiert werden, die den Medien mit der ihnen eigenen Methode den Spiegel vorhalten will. In seinem Roman Livealbum zeigt Stuckrad-Barre, wie Inszenierung mit Realitat verwechselt wird und umgekehrt Realiat mit Inszenierung. Dieser totalen Inszenierung der Welt will er durch sein ironisches Verhalten kritisch gegenuberstehen und ihr wahres Gesicht enthullen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Stuckrad-Barre in seinen Werken durchaus sowohl Gesellschafts- als auch Medienkritik ubt, selbst wenn er das unentrinnbare Netz des Kapitalismus und die ubiqitare Medienprasenz durchschaut und seinen beschrankten Handlungsraum darin eingesteht.